Freitag, 18. Dezember 2009

Lesemethode

Es ist angekommen. Wie für ein zugelaufenes Tier habe ich ihm einen Platz in Ofennähe zurecht gemacht. Vorsichtig haben wir uns angenähert, zuerst über das Spiel ‚Erster Satz, letzter Satz’, später über ein Daumenorakel, das auf die Seiten 910 und 911 fiel: Adrenalin bis Schildpatt

Gemeinsam haben wir nach eine Methode zur punktuellen Neubeseelung des Textkörpers gesucht; dasselbe geschieht ja derzeit in vielen Haushalten. Unsere Bahn wird fünfspurig verlaufen, über eine Ton-, eine Bild-, eine Aktions-, eine Panorama- und eine Kollisionsspur, die zeitgleich eingelesen werden.

Die Tonspur (T) lässt nur das Hörbare gelten, es spielt in desem Buch die größte Rolle, Lautlesen dürfte dafür die adäquate Leseweise sein. Wer sich ein paar Seiten lang ausschließlich auf Rhythmus und Metrik konzentriert, wird bemerken, dass Die Freuden der Jagd – im Grunde – Gesänge sind, in einziger Gesang, ein Abgesang… (auf 'Mann', 'Pathos', 'Bedeutendes' etc.)

Die Bildspur (B) führt in Grenzbereiche zwischen Film und bildender Kunst: Der Leser läuft, die Interpunktion schlägt ihm als hinderliches Geäst oder Wurzelwerk entgegen. Der von Wörtern befreite, auf Klammern, Bei-, Gedankenstriche, Anführungszeichen etc. reduzierte Erzählverlauf erinnert an seismographische Aufzeichnungen oder ein EKG.

Die metonymisch-weitertreibende Aktionsspur (A) erfasst alles, was gemeinhin unter den Diskurs der Erzählung fällt: Raum- und Zeitkonstellationen, Erzählerfunktionen, Wiederholungsstrukturen etc. Diese am Roman orientierte Lesespur ist stark frequentiert, wir werden sie eher selten, nur im Zuge von Ausweichmanövern befahren.

Die metaphorisch-quertreibende Panoramaspur (P) liest innersprachliche Ereignisse auf, jene Passagen, sofern es sie gibt, wo der Erzählfluss blitzartig aufreißt und der Leser von vertikal verlaufenden Stromstößen erfasst wird – diese rest-metaphysischen Einschläge, die Sohle und Kopfhaut in unmittelbare Nachbarschaft rücken…

Die Kollisionsspur (K) ist dem Gegen-Lesen und den Konflikten, die sich daraus ergeben, vorbehalten. Auf dieser speziell für Die Freuden der Jagd eingerichteten Gegenverkehrsspur wird alles Nicht-Passende, Assoziative, Überbordende transportiert, vom kühnen Vergleich bis zum moralphilosophischen Einsprengsel.

Der Rest ist Intuition. Also beginnt der winterliche Forst- und Leseweg. Geleitet werde ich dabei von einer sonderbar umrisslosen Gestalt, die im Buch nicht vorkommt und meine Vorstellungskraft derzeit übersteigt: dem Mann, der aus dem Wald (heraus)kommt…

Montag, 14. Dezember 2009

Erwartungshaltung

Die Buchhandlung liefert nicht. Verzögerung steigert die Spannung, bewirkt brimborialen Zuwachs; zehn Jahre Arbeit adeln – das Buch steht unter Verdacht. Ein eigener Zweig der Literaturkritik könnte sich mit den Bildern und Vorstellungen befassen, die man sich vom literarischen Erzeugnis im Vorfeld macht.

Forschen Schrittes nähere ich mich dem Waldrand. Statt des 1000 Seiten-Ziegels trage ich nur Erinnnerungen an ein Tondokument und einige knappe Textpassagen bei mir.

Ausblick auf den Schauplatz: nicht bloß Wald zur Jagdzeit, was an sich schon besondere Sicherheitsvorkehrungen nahe legen müsste, sondern Wald unter denkbar gefährlichen Witterungsbedingungen. Ein Sturm fegt durch die Zeilen, knickt Äste, biegt dünnere Stämme bis an den kritischen Punkt…

Dunst oder Pose der Gnadenlosigkeit: Der Wald als Mehrfronten-Kriegsschauplatz der gesprochenen und geschriebenen Sprachen. Welche Waffen werden eingesetzt?

Aus einem schützenden Unterstand heraus betrachte ich folgende Passage, Zitat:
„Der Mann der in den Wald (hinein)geht gibt uns – “allen (ernsthaft) interessierten Laien (mithin)” – folgenden – “(nur) gut gemeinten” – Rat(schlag) mit auf den Weg: “in den Wald (hinein) – bitte!” – tun sollten wir uns & ihm einen Gefallen – “nie zu zweien, ihr (blutigen) Laien” – sollten wir gehen …“

Demokratisierte Syntax: Jeder Satzteil ist zeitgleich aus mehreren Blickwinkeln, auf unterschiedlichen Frequenzen, nach persönlichen Vorlieben lesbar:

In (a) optimaler Aussparung oder (b) größerer Genauigkeitkeit mit oder (c) ohne tote Floskeln; mit (d) mehr oder (e) weniger idiomatischer Einfärbung, in (f) abgeflachtem oder (g) steil ausschlagendem Rhythmus usw. Jeder Satz ist eine „Stilübung“ in Selbstbauweise, höhenverstellbar, in mehrere Richtungen offen und zugleich auf das Schärfste zugespitzt…

Die behutsam eingesetzte Interpunktion nimmt einiges vom Dunst alttestamentarischer Strenge zurück. (Notiz zum Gedankenstrich: Gennadij Ajgi)

Für einen Augenblick gehe ich hinter der Triade „synchron / zyklisch / linear“ in Deckung: synchrone, unterschiedliche Teilaspekte eines Geschehens parallel verarbeitende Sprache fällt über zyklische, sich als Natur gebärdende Lebenswelten her und schlägt – satzgliedweise – vertikale Schneißen in den linearen Erzählfluss…

Das sind alles nur Mutmaßungen, Erwartungen vom und an den äußersten Rand. Man muss temporär Waldbewohner werden, das ist das Mindeste. Mitte der Woche, verspricht die Buchhandlung…

Mittwoch, 9. Dezember 2009

Kot, Gelächter, Negation

Im Gelächter über die Jägersfreunde, oder auch im Kichern der plötzlichen Freunde der Freuden der Jagd, so gestern abend bei der Schlotmannlesung, oder in der Frage, ob die Figur eine rein negative ist, die der öden Selbsterhöhung des lachenden Lesers dient, oder dessen Schrecken, wenn er sich in dem erkennt, was er nicht sein will, Verzweiflung!, und letztlich in der Frage nach der kecken Kotaustretung nach einer Schlotmannlesung, überall die Frage, wie der Witz das Verhältnis zum Waldgänger neu gestaltet.

Dass Kritik aber immer trennt und unterscheidet, wäre schon eine, hust hust, ziemlich kritische Auffassung von Kritik. Denn genauso verbindet sie doch, erschließt und eröffnet, was fremd und wirr ist. Wie die Kritik dann aber sprachlich sich zu äußern hat, das kann man ihrem Gegenstand überlassen, bzw. letztlich der Erschließungskraft ihrer vielleicht nur langsam und auf Um- und Abwegen sich findenden Sprache.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Berlin : "Die Freuden der Jagd" in Lesung & Gespräch

 
Freuden_der_Jagd
 
Ulrich Schlotmann stellt sein 1094 Seiten starkes opus magnum "Die Freuden der Jagd" ( Urs Engeler 2009 ) per Lesung und im Gespräch mit Sibylle Cramer vor .
 
Buchvorstellung Ulrich Schlotmann : Die Freuden der Jagd - Literaturwerkstatt Berlin - Dienstag , 8. 12. 2009 , 20 H

Samstag, 5. Dezember 2009

Zeit und Ort

Vielleicht wäre es mal an der Zeit, der seltsamen Zeit- und Ortbehandlung dieses Buches nachzudenken. Der Mann, der in den Wald hineingeht, kommt aus diesem ja gleichzeitig nie heraus. Da ist entweder eine Lücke im Text zu konstatieren, die man sich selbst auszudenken hätte, oder ein Paradoxon von jemandem, der sich in etwas verirrt, zu dem es kein Außen gibt; aus dem Außen – dem Schrott, der normalerweise dem Wald gegenübersteht – ist andererseits das Ruinenfeld dieses Holzes erst gewachsen. Und wenn der Powerwalker wieder auftaucht, erweckt das bei mir auch nicht so sehr den Eindruck, dass er schon wieder in den Wald gegangen ist und schon wieder auf diesen Mann, der so, wie die Rille eines Satzes im Kreis läuft, immer wieder in den Wald geht, trifft, sondern dass beide zur selben Zeit und am selben Ort die Schallplatte ihrer eigenen Aktion simultan zur ersten variierend gravieren.

Donnerstag, 26. November 2009

Wer ...

... wütet sich da hinein in den Wald, das muffige Unterholz, nein, das gerade nicht, tapert bloß wie ein jeden Morgen neu aufgezogener Spielzeugsisyphus, nicht ohne eine schnarrend sich drehende Schraube im Rücken, auf der einmal eingeschlagenen Route schnurstracks geradeaus, das, so scheint mir, ist die Frage, die den Text noch einmal wendet, denn dass das Hineingelaufe in meinen Wald mich den unsinnig sich schüttelnden Urängsten und Zielen keinen Schritt näherbringt, falls ich einen Zentimeter abweiche von der elenden Trimmdichroute (S. 59), das ist ja gerade falsch, aber weil es der unsinnige Waldgänger sagt, ist es wieder richtig, kurz, es ist ja Rollenprosa, natürlich, zusammengerührt aus unzähligen Rollen und Sätzen, aber doch, nun ja, geerdet in einem negativen Punkt. Erstaunlich, wie lang das durchgehalten wird. Ohne den alles durchflüsternden Witz ginge das nicht.

Dienstag, 24. November 2009

2 Szenen aus der deutschen Pathographie

ad : Kontexte

Mit seinem "Struwwelpeter" hat Heinrich Hoffmann 2 Dispositive der deutschen Pathographie fixiert :

1. Die blinde Zerstörungslust des "Bösen Friedrich" ( click to XL )

Der_boese_Friedrich2

2. Das - frei nach dem Aktaion- Mythos Ovids - Motiv vom gejagten Jäger

Der-wilde-Jaeher_01

Der-wilde-Jaeher_02

Die ausgleichende bürgerliche Gerechtigkeit , welche das Wild - auf unwahrscheinliche Weise - an seinem Verfolger vollzieht , verweigern "Die Freuden der Jagd" . Hier kehrt die Nachtseite des Bürgerlichen - die Unaufgelöstheit bourgeoiser ( Stammtisch- ) Ressentiments - wie ein Nachtmar immer wieder .

Als "Sieg" wäre dies insoferne nicht zu bezeichnen , als der Mann wie ein Verdammter in Endlosschleife wieder und wieder in den Wald geschickt wird , unendlich wandelbare "targets" zum Abschuss vor Augen .

Mag der Mann solcherart buchstäbliche Schlacht- Felder hinterlassen , kommt er nicht , kommt das , was IHN JAGT , nicht zur Ruh .

Samstag, 21. November 2009

Zitat

Es tut mir so leid. Die extreme Einfachheit meines Gemütes wundert mich manchmal selbst. Ich brauche nur eine Person zu sehen, die mehrere Packungen Klopapier im Einkaufswagen herumfährt, schon muß ich lachen. Und dann noch mehr lachen, weil ich mich meines Lachens ein wenig schäme. Beim nächsten Mal ist es noch schlimmer, weil ich mich an die lustige Situation erinnere und sofort denke: aha! und niemals etwas vergesse, sich alles bis zum Exitus potenziert.

Wenn ich das Buch aufschlage springen mir immer, aber wirklich immer, Zitate entgegen wie extra für mich gemacht.

Seite 600

"Achtung/Achtung - ich muss furzen & rülpsen - und zwar: (beides) gleichzeitig/(alles) zusammen!"

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biberratz

Bäume vor Wald

die Freuden der Jagd

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